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Der Islam ist ein Teil eines ’Lumpnismus’ in der Gesellschaft

Interview mit Radio Hambastegi in Malmö - Schweden



Frage: Die arbeiterkommunistische Partei Irans behauptet, dass der Iran keine islamische Gesellschaft ist. Wie kommt sie zu dieser Behauptung?

Mansoor Hekmat: Am Anfang müssen wir die Definitionen, dass der Iran eine islamische Gesellschaft oder gewisse Gesellschaften islamisch sind, genauer untersuchen, um zu verstehen, auf welches Bedürfnis diese Definition antwortet. Das Image einer islamischen Gesellschaft, das im Westen vorherrscht, ist eines von frommen Gläubigen an den Islam, der sich an die Regeln hält, betet und fastet und dessen Meinungen von religiösen Texten oder Quellen gebildet werden. In der Tat stellt er sich vor, dass ein Bürger einer Gesellschaft wie dem Iran, ein Anhänger des Herrn Khomeini ist und wirklich beleidigt ist, wenn es jemand wagt, sich entschleiert öffentlich zu zeigen, er mag keine westliche Musik, nimmt weder Alkohol noch Schweinefleisch zu sich, usw.

In Anbetracht dieser Definition jedoch wissen wir alle, dass der Iran keine islamische Gesellschaft ist. Dies ist eine stereotype und klischeehafte Vorstellung, die der Westen selbst von den Gesellschaften außerhalb der Reichweite seiner Bürger geschaffen hat; es ist kein unabhängiger und genauer Maßstab.

Der Islam im Iran beeinflusst sicherlich wie zum Beispiel das Christentum in Italien oder in Irland, die Gedanken und das Temperament von einigen Menschen. Zweifellos, religiöse Kultur und ihr tausende von Jahren altes schreckliches Erbe beeinflusst das Verhalten der Menschen, ihre Vorurteile und sogar die Art, wie sie einander betrachten. Aber dies gilt auch für Italien, Irland und Frankreich mit all ihrem Säkularismus; schließlich kann man sagen, dass jene Länder auch christlich sind. Eine Französe jedoch würde sicher behaupten, dass Frankreich keine christliche Gesellschaft ist, obwohl das Christentum Teil seiner Vergangenheit ist und Einfluss auf seine Haltung hat. Auf die gleiche Weise hat der Islam im Iran Einfluss. Wenn Sie zum Beispiel die Schriften von iranischen Dichtern, Schriftstellern und Intellektuellen lesen, das Bild Frauen, die Ihnen gegeben wird, ist das Vermächtnis des Islams. Die Vorstellungen von Vergnügen und Trauer, die Faszination des Elends, des Todes und Martyriums in der Kultur, sind vom Islam hergeleitet. Aber wenn der Westen von einer islamischen Gesellschaft spricht, unterstellt er eine Gesellschaft, in der islamische Regeln und Bestimmungen verinnerlicht und zum Erbe der Menschen wurden. Wir dagegen behaupten, dass der Islam dem Volk von Iran in einem politischen Prozess durch Gefängnisse, Massaker, Verhaftungen und Herden von Hizbullah aufgebürdet wurden. Der Iran ist keine islamische Gesellschaft, weil er keine war, bevor sie kamen. Und seitdem sie da sind, haben die Menschen immer Widerstand geleistet und sich dagegen geschützt.

Stellen Sie sich vor, dass Sie eine Stange biegen wollen; Sie setzen fort, sie zu biegen, aber sie springt wieder zurück in ihre ursprüngliche Position, sobald Sie jede Gewalt entfernen. In den letzten zwanzig Jahren haben sie versucht, Frauen im Iran unter den Schleier zu zwingen durch Morde, brutale Gewalt und täglicher Propaganda, Frauen legen ihre Schleier sofort ab, sobald sich die Attacken mit Messern und Säure vermindern; deshalb haben Frauen in dieser Gesellschaft nicht die islamischen Maßregeln akzeptiert. Unter den 60 Millionen Menschen im Iran sind sicher hunderttausend, die die Verschleierung akzeptieren und sogar dafür werben, aber die Millionen von gewöhnlichen Menschen wollen dies nicht und sehen die islamische Verschleierung nicht als Teil ihrer Natur und Kultur.

Die Musik, die das Volk vom Iran hört, ist keine, gegen die die Regierung offiziell nachsichtig ist oder die sich infolge der kulturellen Bedürfnisse der Menschen ergeben hat, sondern es sind eher Michael Jackson, Madonna und andere Popmusiker aus dem Westen. Die Sängerin Gogoosh war eine viel beliebtere Persönlichkeit in der Geschichte des Iran als Khomeini. Der illegale Verbrauch und die Produktion von Bier hat immer die Produktion der Artikel für die Religion und das Gebet überschritten. Dies sind dieselben Menschen. Wenn man im Iran gelebt hat wie Sie und ich, und den Iran nicht aus dem Blickwinkel der Medien betrachten will, weiß man, dass dieses Land kein islamisches Land ist, und dass es tief unten danach strebt, der westlichen Gesellschaft ähnlich zu sein. Sogar jetzt übernimmt ein Iraner die westliche Lebensart schnell, sobald sie oder er das Ausland erreicht: Sogar die patriarchalischen, chauvinistischen Werte eines Mannes aus dem Osten - obwohl noch immer vorherrschend – werden schneller untergraben im Vergleich zu jenen, die aus Ländern kommen, die eher bange vor dem Islam sind.

Der Iran im Spezifischen ist keine islamische Gesellschaft wie er von den Orientalisten aus dem Westen, den westlichen Medien oder dem islamischen Regime im Iran definiert wird. Der Iran ist eine Gesellschaft, begierig nach Zivilisation und mit der westlichen Kultur des 21. Jahrhunderts sympathisieren. Er glaubt an die Wissenschaft. Vor zwei Generationen gingen die Frauen ohne Schleier auf die Straßen. Westliche Musik und Filme waren immer ein Teil dieser Kultur. Namhafte Persönlichkeiten im Westen waren auch berühmt im Iran. Ähnlichkeiten mit dem Westen, ob in städtischer Planung, Schulwesen, Wissenschaft, Kunst und Kultur wurden als Vorzüge betrachtet. Man könnte auch dem Gegenüber kritisch sein - ich will diese Debatte jetzt nicht lostreten, aber die iranische Gesellschaft hat die westliche Kultur als ein Modell akzeptiert. Genau deswegen kann das islamische Regime diese Menschen nicht kontrollieren. Eine Generation von Menschen wurde unter den Regeln der islamischen Republik geboren, die sogar noch mehr als Sie und ich Feindschaft gegen dieses System hegt.

Der Iran ist keine islamische Gesellschaft und wird es nicht akzeptieren, aber wir haben bis jetzt keine mächtige politische und philosophische antiislamische Bewegung gehabt, die in eine historische Errungenschaft hätte verwandelt werden können. Es hat keine Bewegung gegeben, die einen entscheidenden Bruch mit den Reliquien der alten sozialen Ordnung d.h. dem Islam, hätte herbeiführen können. Dies ist eines der wichtigen Probleme des Irans.

Frage: Früher war Europa das Zentrum des Kampfes gegen Religion; folglich ist Religion eine persönliche Angelegenheit für Personen geworden. Es scheint, dass zurzeit ein ähnlicher Kampf gegen den Islam und Religion im Allgemeinen im Iran geführt wird. Kann man dies mit dem europäischen Kampf gegen Religion vergleichen? Außerdem wie ist Ihre Meinung zu der Strömung, die den Islam dadurch verteidigen, indem sie darlegen, dass der Islam befreien könnte, und dadurch das Konzept der Befreiungstheologie einführen?

Mansoor Hekmat: Auf die erste Frage, wie schon erwähnt, erleben wir einen antiislamischen Umschwung und einen populären kulturellen Kampf gegen den Islam im Iran mit. Soweit es den ideologischen Kampf gegen den Islam und das Herausstellen der Fundamente dieser Religion eines freiheitsliebenden Menschen betrifft, ist Religion ein Teil eines 'Lumpnismus' in der Gesellschaft, der beseitigt werden muss. Wenn dieser Kampf jetzt stattfindet, ist es dank der Kommunisten wie wir, und sogar dies ist beschränkt bezüglich des Erreichbaren für eine politische Organisation. Im Iran haben wir keine große soziale und nationale Bewegung von aufgeklärten Intellektuellen, die laut verkündigen, 'wir haben keine Religion; wir sind Atheisten', während Europa voll von intellektuellen Riesen war, die gegen die mächtige Kirche aufgestanden sind und ihre Ansichten ausgedrückt haben. Sie kritisierten Aberglauben auf wissenschaftlichen, philosophischen und sozialen Ebenen, und viele haben einen Preis dafür bezahlt. Wir haben keine Intellektuellen im Iran mit demselben politischen und intellektuellen Mut. Heute werden Freunde von Herrn Khatami 'Alternativdenker' genannt. Folglich bleibt es vielleicht der iranischen Arbeiterklasse und der arbeiterkommunistischen Partei von Iran überlassen, diesen Kampf zu einem Ende zu bringen. Ich denke, wenn der Kampf, der jetzt im Iran stattfindet, zum Erscheinen von Parteien wie der unsrigen und einer Bewegung wie die Bewegung der sozialistischen Arbeiter führt, und es diese Bewegung schafft, trotz der vielen Hindernisse, auf ihren eigenen Füßen zu stehen, dann ist es möglich, der Religion auf lange Sicht ihre Wurzeln herauszureißen.

Bezüglich der Frage der Befreiungstheologie ist dies das Erbe der Tudeh Partei. Meiner Meinung nach sind keine von denen weder aufrichtige noch echte Überzeugungen. Gerade die Person, die die Befreiungstheologie befürwortet, ist nicht bereit, danach zu leben oder in ihre Partei einzutreten. Für sie ist es immer eine Frage von Taktik und Politik. Sie wollen eine Fraktion innerhalb der Mullahs finden, die ihnen helfen kann, große geschlossene Fronten gegen die Diktatur aufzubauen. Anstatt ihre Ideen zu äußern, sind sie immer damit beschäftigt, Politik zu spielen. Befreiungstheologie ist der Name für die christlichen Mullahs, die bereit sind, etwas gegen lateinamerikanische Diktatoren zu sagen. Und das nennen sie dann Befreiungstheologie. Definitionsgemäß kann aber keine Theologie befreien. Theologie ist die Antithese zur Befreiung. Sie bedeutet, Menschen unwissend zu halten, sie an unabhängigen Gedanken zu hindern und sie an einen unbekannten Schöpfer und die Welt zu verweisen. Befreiungstheologie ist Quatsch. Sie ist ähnlich, sagen wir, wie Befreiungsfaschismus; es ist ein Widerspruch in den Begriffen. Unabhängig davon, ob es die christliche, buddhistische oder islamische Version ist, kann Theologie nicht befreien. Für Intellektuelle des 19. Jahrhunderts bedeutete Befreiung vor allem die Befreiung von der Religion und den Fesseln des auferlegten Gedankens. Jetzt ist die Theologie selbst Befreier geworden? Warum? Weil der östliche Block einen Teil der westlichen Gesellschaft beeindrucken musste und taktische Alliierte für seinen so genannten Widerstand gegen den Westen gewinnen wollte. Als Ergebnis gehörte Herr Taleghani zu dem 'revolutionären Lager'. Jetzt gehören Herr Khatami oder Priester aus Kolumbien oder Bolivien zu diesem Lager. In Wirklichkeit jedoch können diese Menschen und Länder nur gerettet werden, wenn sie vor jeder Form der Theologie gerettet werden. Ich denke, dass jene, die diese Vorstellung unterstützen, offenbaren ihren stalinistischen und tudeh-istischen Hintergrund und noch nicht einmal ihre eigenen individuellen Gedanken. Diejenigen, die Befreiungstheologie befürworten, sind nicht bereit, in einem von Befreiungstheologie beherrschten Land zu leben. Sie ziehen es vor, in Frankreich und England zu leben, jedoch schreiben sie Befreiungstheologie den Menschen in Bolivien vor. Ich denke, dies ist heuchlerisch und unaufrichtig.

Frage: Manche sagen, dass der Islam modernisiert werden kann, und verlangen nach seiner Modernisierung. Diese Ansicht wird auch in der linken Bewegung gesehen, die sich bemüht, diese Angelegenheit zu fördern. Was ist Ihre Meinung dazu?

Mansoor Hekmat: Die Person, die den Islam modernisieren möchte, ist wie ein vergessliches Genie, das eine Maschine in seiner Garage erfinden will, welche Kupfer in Gold verwandeln kann! Ist es gut, dass der Islam modern wird? Die erste Frage ist, warum sollte der Islam modernisiert werden und warum bestehen sie darauf? Wenn jemand sagt, dass Sklaverei auch human werden kann, werde ich ihn fragen, warum sie darauf bestehen, Sklaverei human zu machen? Gibt es einen Mangel an moderner und humaner Weltanschauung? Man sollte diese Personen fragen, die den modernen Islam fördern, ob sie selbst moderne Moslems sind? Wenn nicht, warum befestigen sie dann den Weg für ein unterdrückendes und historisch rückwärts gerichtetes Monster um seine Existenz in neuen Formen fortzusetzen? Lassen Sie uns annehmen, dass der Islam modernisiert werden könnte; warum helfen sie ihm, modern zu werden? Lassen Sie ihn los, lassen Sie ihn so bleiben, wie er ist, und lassen Sie ihn aus auslaufen. Dessen ungeachtet, ist ihre Vorstellung von 'modern' meiner Meinung nach beschränkt, deshalb sagen sie, dass der Islam modern sein kann. Wenn der Islam einer Frau erlaubt, mit einem knielangen Rock in die Schule zu gehen oder ein Richter zu werden, solange sie nicht von ihrer Sexualität spricht, dann ist der Islam in ihren Augen modern. Aber so geht es nicht.

Der Islam ist an keiner Stelle das, was ich modern nenne (tatsächlich ist dieses Wort auch relativ), genauso wenig wie in der Gesellschaft, in der ich gerne leben würde, noch in der Moderne, wie ich glaube, dass wir sie verdienen. Der Islam muss von der Wurzel her ausgerissen werden. Wie einige Menschen an den Faschismus glauben, und noch immer stark an das Patriarchat glauben, genauso glauben manche auch an den Islam. Der Pfad der Aufzeichnungen im Islam ist viel offensichtlicher, als dass jemand seine Rettung versuchen wollte. Die Person, die sagt, dass der Islam modernisiert werden kann, ist ein Moslem, der seine Religion erhalten und ihr Überleben sichern will. Andererseits kann ich keinen Nicht-Moslem verstehen, der auf diesem Konzept beharrt, außer dass er einen taktischen Verbündeten für seine eigene Revolution schaffen will.


Dies ist eine Übersetzung eines Interviews mit Radio Hambastegi in Schweden, datiert vom 13. Juni 1999.


Übersetzer: Bijan Shahabi (Edit: Ika Bordasch)
hekmat.public-archive.net #1810de